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Aus den Archiven in den Alltag

Die Frage nach NS- Kontinuitäten in hohen Positionen und auch der Verwaltung scheint dem Grunde nach nicht  neu oder auf den ersten Blick überraschend zu sein.

Viele (Rechts-)Historiker*innen, die Zivilgesellschaft und durch das NS-Regime Verfolgte haben zum Teil früh, zum Teil erst später- teilweise mit Vehemenz- Aufklärung eingefordert (vgl. "68-er Bewegung"). So entstand auch die Idee für dieses Projekt bereits in den 1980er Jahren.

Die geographisch einmalige Situation der Berliner Senatsverwaltung eröffnet vor diesem Hintergrund jedoch eine neue, mehrdimensionale Perspektive. Der Umgang mit NS Kontinuitäten kann durch die "Insel-Lage" in der Sowjetischen Besatzungszone, der späteren DDR, in den Kontext zu "DDR- und SBZ- Belastungen" gesetzt werden.

Dieser politische Kontext eröffnet die besondere Gelegenheit, die Vorgehensweise der Verwaltung bei Einstellungsverfahren in die Zeit des aufkommenden Kalten Krieges einzuordnen. Insbesondere stellt sich dei Frage, wie sich der in Berlin stärker als andernorts spürbare "Kalte Krieg" auf die Berliner Justizverwaltung – in Personal- wie Sachentscheidungen - ausgewirkt hat. Besonders hervorzuheben sind die „Braunbuch“‐Kampagnen der DDR sowie die allgegenwärtige Angst vor Spionage und politischer Manipulation.

Besonderheiten der Berliner Senatsjustizverwaltung

Neben der geographischen Besonderheit zeichnet sich die Senatsjustizverwaltung in Berlin auch durch seine Behördenstruktur aus.

Die der Senatsjustizverwaltung zugeordnete Berliner Wiedergutmachungsbehörde sowie das juristische Prüfungsamt sind Orte, an denen 1949-1974 unmittelbar Fragen historischer Schuld und Verantwortung verhandelt wurden.

Zudem steht die (förderale) Senatsverwaltung weder in direkter Nachfolge zu (zentralistischen) Behörden vor 1945, noch befindet sie sich im damaligen Machtzentrum der Bonner Republik. Beides verspricht Abweichungen zu den Untersuchungen auf Bundesebene und damit neue Erkenntnisse in der historischen Aufarbeitung des Nationalsozialismus. Durch das Projekt wird ein Beitrag dazu geleistet, neben den großen Ministerien, die bereits ihrer Natur nach im Fokus der Öffentlichkeit stehen, gerade die für die Umsetzung der übergeordneten politischen Richtlinienien relevanten Beamten und Strukturen zu beleuchten.

senatsverwaltung nach dem krieg foto

Die Ursprünge der NS-Aufarbeitung

Beginnend mit dem Auswärtigen Amt haben in den letzten Jahren zahlreiche Bundesministerien und -behörden Historiker*innenkommissionen eingesetzt, um die personellen und inhaltlichen Kontinuitäten der jeweiligen Institution zu erforschen. Von offensichtlichen Stützen der Macht wie dem Justizministerium, der Bundesanwaltschaft oder dem Bundesministerium des Inneren bis hin zu vermeintlich unscheinbaren Institutionen wie dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Zuletzt schlossen sich Bundeskanzler*innen- und Bundespräsidialamt an und auch in den Ländern (z. B. Hessen, Hamburg) liefern Forschungsprojekte erste Ergebnisse.

Landesarchiv Berlin, F Rep. 290 (01) Nr. 0011310 / Foto: Sass, Bert

F_Rep_290_0011310

Demokratien im Aufbruch nach der Diktatur

Wie konnte ein demokratischer Rechtsstaat mit einem undemokratisch gesinnten Personal aufgebaut werden?

Insbesondere den Angehörigen juristischer Berufe wird hierbei ein zwiespältiges Zeugnis ausgestellt. Sind Juristen so opportunistisch, dass sie stets der jeweiligen Staatsmacht dienen? Wie verlässlich dienen sie der Demokratie?

Solche Fragen stellen sich in Deutschland unter den historischen Quersummen von 1919, 1933, 1945 und 1989 aber finden sich in den politischen Umbrüchen des 20. Jahrhunderts auch auf dem Weg des faschistischen Italien oder sowjetischen Polen, den Demokratiserungswellen in Zentralamerika, Spaniens Amnestiegesetzen oder der Anerkennung von Opfern staatlicher Zwangsprostitution in Japan